fitnessRAUM.de
OnlineFitness
zum Google Play-Store
Gespräch mit Jennifer Mertens: Über das "Sich-selbst-annehmen", Curvy Fitness und Body Positivity

Liebe Jennifer, du bist gemeinsam mit Maria Job in unserer Kursreihe Curvy Yoga zu sehen – magst du kurz erzählen, wie es zu dieser Produktion kam?
Ja, das kam tatsächlich recht zufällig zustande. Ich habe vor einiger Zeit als Make-Up-Artistin und Stylistin für fitnessRAUM.de-Produktionen gearbeitet und dabei einmal angemerkt, dass ich es unsinnig finde, anzunehmen, dass jeder dickere Mensch dünn sein möchte – denn dem ist nicht so. Und auch, dass Plus-Size-Kurse doch einmal von Plus-Size-Menschen präsentiert werden sollten... Irgendwann kam das Team von fitnessRAUM.de auf mich zu und hat mich für die Curvy-Yoga-Kurse angefragt.

Machst du denn auch privat Sport?
Ich mache sehr viel Sport, von Kickboxen bis Kraftsport, und mag auch gerne Yoga. Dabei mag ich fließende Abläufe lieber als Yogaformen, wo man einzelne Positionen sehr lange halten muss. Ich würde würde mich nicht als “typischen Yogi” bezeichnen (was auch immer man darunter versteht). Ich mag Sport und die Kombination von Yoga, Pilates und Stretchen. Einfach weil es mir guttut.

Glaubst du, dass es für dickere Menschen schwieriger ist, ein Fitnessstudio zu besuchen?
Nun ja, es kostet sicher zusätzlich Überwindung. Ich bin relativ selbstbewusst, aber viele sind das eben nicht... Wenn man dann – nachdem man sich aufgerappelt hat – noch in einem Studio ankommt und feststellt, dass man die einzige dicke Person im Kurs ist, da will man doch nur noch weg – verständlicherweise. Ich kann mich zum Glück immer besser annehmen, aber ja, ich verstehe natürlich jeden, der sich in solchen Situationen unwohl fühlt.

Fändest du vielleicht mehr Angebote gezielt für dickere Menschen sinnvoll?
Nein, so auch nicht. Ich möchte in keinen Kurse gehen, in dem nur Dicke sind oder einen Kurse machen, der mir permanent mein Dicksein vor Augen führt. Ich finde es falsch, so zu separieren. Schön wäre es, wenn wir aufhören könnten, uns und andere zu bewerten und je durchmischter die Gruppe, desto einfacher finde ich das. Dann bin ich nicht die einzige Dicke unter lauter Dünnen, aber laufe auch nicht in einem Kurs, der nur für Dicke ist, nebenher.

Meinst du das klappt?
Warum denn nicht. Ich mache zum Beispiel viel Kraftsport und da gehe ich ja auch mit meinen Freunden trainieren. Egal ob männlich oder weiblich, und egal wie fit. Das funktioniert!

Du bezeichnest dich selbst als “dick” …
Ja, bin ich ja. Ich bin ja dick. Ich weiß gar nicht warum sich Leute daran stören. Es gibt dünn, es gibt dick. Was es nicht gibt, ist “normal”. Weil dünn ist normal und dick ist normal. Das Problem ist ausschließlich die Bewertung.

Was genau magst du an Sport? Gerade im Hinblick auf die Beziehung zu deinem Körper.
Ich mag Bewegung. Es tut mir einfach gut, aktiv zu sein. Yoga als Bewegungsform ist schön, um sich und den eigenen Körper kennenzulernen. Auch wenn es manchmal eine Gratwanderung für mich ist. Es gibt Tage, an denen ich mit meinem Körper hadere, da kann gerade Yoga echt schwierig sein. Man spürt den eigenen Körper einfach immer sehr. Gelingt es, über diesen Punkt hinwegzukommen, dann tut man mit Yoga wirklich nur sich selbst etwas Gutes. Nicht im Außen, sondern im Innen. Man lernt seinen Körper anderes kennen – alleine dafür ist Yoga toll. Man kommt nicht umhin, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.

Diese ehrliche Beschäftigung mit sich selbst, hältst du diese für wichtig?
Nun, ich glaube, dass es sicher nicht einfach ist, doch wenn man dranbleibt, dann ist es eine große Erleichterung. Es klingt jetzt doof, aber loslassen, ankommen und sich selbst fühlen. All das passiert in der Yogapraxis, aber auch beim Fitnesstraining. Weißt du, wie viele Menschen sich selbst nicht fühlen können? Oder Selbstliebe, das ist ja auch so ein Thema …

Findest du schwierig?
Ganz schwierig. Ich kann es nicht mehr hören. Aber ja, wenn du anfängst dich selbst zu lieben, wenn du Dinge an dir findest, die du magst, dann trittst du ganz anders auf. Selbstbewusster. Das passiert durch Yoga, aber auch durch Sport allgemein. Dein Bewusstsein dir selbst gegenüber verändert sich. Und das passiert ganz von alleine, ganz automatisch.

Hast du eigentlich Lieblingsübungen oder Asanas, die du lieber magst?
Ich bin sehr beweglich und mag deswegen eigentlich alles, was in Richtung Stretchen geht. Einfach weil es sich leicht in meinem Körper anfühlt.

Und welche, die du gar nicht magst?
Oh ja, da gibt es einige. Die Kindsstellung, die viele als so einfach empfinden, ist für mich – wie für viele dicke Menschen – richtig anstrengend und richtig schwer zugänglich. Einfach weil meine Oberschenkel, meine Brüste im Weg sind. Das gilt auch für andere Haltungen, bei denen man “zusammenklappt”. Sobald mein Körper im Weg ist, geht es einfach nicht. Oder wenn Positionen, wie der zweite Krieger, sehr lange gehalten werden, da wissen viele Yogalehrer*innen gar nicht, wie schwierig es ist, wenn mich mein ganzer Körper nach unten zieht.

Würdest du dir hier mehr Aufmerksamkeit bzw. Wissen von Fitnesstrainer*innen wünschen?
Ich würde mir zumindest wünschen, dass sie sagen, dass es okay ist, wenn man nicht richtig – und was heißt schon richtig – in die Position kommt oder vielleicht Alternativen kennt und diese anbietet. Nicht, dass man als dickerer Mensch das Gefühl hat: “ich kann das nicht”. Weil das ist ja Quatsch. Wir brauchen nur einen anderen Zugang. Es gibt natürlich auch Übungen und Positionen, die fallen mir als dicker Mensch leichter.

Was wäre für dich eine gute Lösung?
Zumindest Beginner*innen-Stunden im Yoga und Fitness-Kurse für Einsteiger*innen sollten inklusiver sein. Das gilt online wie offline. Hier müssten sich Trainer*innen fortbilden, um das anbieten zu können. Oder es wäre toll, wenn nicht ausschließlich durchtrainierte Menschen diese Stunden anbieten, sondern auch mehr und mehr Menschen, die selbst etwas dicker sind. Ich glaube, das würde viele ermutigen, die sich bislang vielleicht nicht getraut haben. Das ist aber auch Aufgabe der Studios. Inklusiv und divers. Das ist doch machbar. So sehen wir doch als Gesellschaft aus.

Glaubst du, dass sich hier etwas verändert?
Ja, in den vergangenen 10 Jahren hat sich wahnsinnig viel getan. Ich würde sagen, dass man online zumindest mehr dicke Menschen sieht, und auch dass man nicht mehr ganz so auffällt und vielleicht angeschaut wird, wenn man als Mensch, der nicht super dünn ist, trainieren geht. Es ist zwar noch Luft an oben, aber es wird.  

Hierzu hat sicher auch die Body Positivity Bewegung beigetragen. Wie stehst du zu dieser?
Ich finde die Bewegung gut, wenn man versteht, wo sie herkommt und dass es in ihrem Kern viel um Gleichberechtigung vor allem schwarzer Frauen in den USA ging. Heute finde ich gut, dass Frauen und Mädchen, die Probleme mit sich bzw. mit ihrer Figur haben, sich gegenseitig finden können. Und auf diese Weise sehen und lernen, dass sie okay sind, wie sie eben sind.

Klingt als gäbe es Seiten, die du etwas schwieriger findest?
Problematisch ist, wenn viele schlanke Menschen auf Instagram zum Beispiel ihren Bauch zeigen, der in den Augen dicker Menschen keiner ist, und das unter #BodyPositivity verbuchen. Aber ich finde nicht schwierig, dass sie das tun, sondern eher, dass dickere Menschen ihnen das manchmal nicht zugestehen – was noch mehr spaltet. Es ist doch normal, dass wir alle – egal ob dick oder dünn – mit unserem Körper hadern, so sind wir doch geprägt. Und wenn ich als dicker Mensch Probleme mit meinem Körper habe, muss ich doch verstehen, dass dünne Menschen diese auch haben. Ich habe Freunde, die in meinen Augen perfekt aussehen, und auch für die, ist es überhaupt nicht einfach, sich selbst zu lieben. Ganz im Gegenteil.

Bei Body Positivity geht es ja primär um Selbstliebe. Meinst du “nur” Akzeptanz, wie es die Idee von Body Neutrality ist, ist einfacher?
Ich glaube nicht, dass man sich komplett von den Einflüssen der Gesellschaft freimachen kann. Aber mich nerven ehrlich gesagt, auch die ganzen Begriffe. Das ist doch wieder Schublade auf, Schublade zu. Außerdem ist es doch keine Entscheidung, die man einfach so trifft: Dann bin ich jetzt neutral. Sich selbst zu lieben oder einfach “nur” sich selbst anzunehmen, ist kein einfacher Prozess.

Wo wir wieder beim Sport und Inklusivität wären… Wie waren denn die Reaktionen, die du auf die Curvy-Yoga-Produktion bekommen hast?
Ich habe so viel und richtig positives, naja, eigentlich nur positives Feedback bekommen. Und das sowohl aus meinem Bekanntenkreis, als auch von Menschen, die ich nicht kenne. Sowohl von dünnen als auch dicken Menschen. Tatsächlich haben sich auch viel dünne Anfänger*innen bei mir gemeldet, die den Kurs gerne gemacht haben.

Sind online Angebote vielleicht eine erste Möglichkeit für Menschen egal ob dick oder dünn, um Zugang zu Fitness zu finden oder sogar eine Alternative?
Natürlich. Vieles ist zuhause einfacher, gerade am Anfang. Man braucht ja einen Raum in dem man sich wohlfühlt, einen safe space. Wo man sich nicht immer vergleicht. Deswegen hatte ich es auch damals bei der fitnessRAUM.de-Produktion angesprochen: Nur weil ich dick bin, heißt das nicht, dass ich keinen Sport mache oder mag. Ich möchte aber auch nicht die ganze Zeit “Dünnsein” als ultimatives Ziel vorgesetzt bekommen oder “Randgruppen”-Kurse speziell für dicke Menschen. Einfach ein durchmischtes Angebot, mit Trainer*innen, die wissen, welche Hürden man als dickerer Mensch hat.

Gibt es etwas, das du dir von uns allen als Gesellschaft im Umgang mit Gewicht wünschen würdest?
Einfach nur Akzeptanz und Respekt. Und das war’s. Und nicht nur dicken Menschen gegenüber, sondern allgemein anderen Menschen gegenüber. Und mehr Liebe anderen Menschen gegenüber. Was ist denn daran so schwer?

Join
now!

Free trial
Free trial